Christiane Muster Brettschuh - imraumumRaum
Bild: das kulinarische erbe, a - 8454 arnfels 11





das kulinarische erbe

Marburg war eine Stadt der Phäaken. Im sing­enden weichen Tonfall des Mar­burger Deutsch wurde haupt­säch­lich vom Essen und Trin­ken gesprochen. Das reiche, von slowe­nischen Bauern bewohnte Hinter­land gegen die kroati­sche Grenze hin ließ jeden Tag einen langen Zug von ihre Waren auf einem kleinen Kranz am Kopf tragen­den Bäurinnen zum Mar­burger Markt streben, wo vor dem Rat­haus auf langen Stän­den alle Köst­lich­keiten in der nur hier möglichen Fülle und Güte feil geboten wurden. Es gab nicht nur Hühner, Enten und Gänse, nein auch die damals noch berüh­mten steirischen Pou­larden und Kapaune, die auf der Speise­karte keines Übersee­liners fehlten. Da lagen in aufgerollten Säcken Bohnen jeder Größe und Farbe, herr­liches Obst, Kürbis- und Sonnen­blumen­öl, Schnaps und Wein, im Herbst Kas­tanien und gebra­tene Äpfel und Birnen. Wo der Markt aber zu Ende war bog eine Straße hinab zur Floß­lende an der Drau, die hier mächtig breit und ruhig nach ihrem Durch­bruch durch das Gebirge dahin­floß. Hier wurden große Flöße zu­sam­men­gebun­den und beladen, die dann Bretter, Bau­holz und Wein­stecken bis nach Ungarn hinunter­trugen. Dort standen am Fluss auch die Fischer, die ihre qua­drat­ischen, durch Hasel­bögen im Viereck gespannten Netzte, die sogenannten Dauper nach Weiß­fischen, meist Nasen und Barben hoben und senkten und man sprach mit Ehr­furcht von denen, die im Winter mit dem Neun­augen­zopf gewaltige Huchen an Land zogen.
(mein vater richard muster *1911, über einen besuch bei seinen marburger großeltern, 1916)
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