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das kulinarische erbe |
Marburg war eine Stadt der Phäaken. Im singenden weichen Tonfall des Marburger Deutsch wurde hauptsächlich vom Essen und Trinken gesprochen. Das reiche, von slowenischen Bauern bewohnte Hinterland gegen die kroatische Grenze hin ließ jeden Tag einen langen Zug von ihre Waren auf einem kleinen Kranz am Kopf tragenden Bäurinnen zum Marburger Markt streben, wo vor dem Rathaus auf langen Ständen alle Köstlichkeiten in der nur hier möglichen Fülle und Güte feil geboten wurden. Es gab nicht nur Hühner, Enten und Gänse, nein auch die damals noch berühmten steirischen Poularden und Kapaune, die auf der Speisekarte keines Überseeliners fehlten. Da lagen in aufgerollten Säcken Bohnen jeder Größe und Farbe, herrliches Obst, Kürbis- und Sonnenblumenöl, Schnaps und Wein, im Herbst Kastanien und gebratene Äpfel und Birnen. Wo der Markt aber zu Ende war bog eine Straße hinab zur Floßlende an der Drau, die hier mächtig breit und ruhig nach ihrem Durchbruch durch das Gebirge dahinfloß. Hier wurden große Flöße zusammengebunden und beladen, die dann Bretter, Bauholz und Weinstecken bis nach Ungarn hinuntertrugen. Dort standen am Fluss auch die Fischer, die ihre quadratischen, durch Haselbögen im Viereck gespannten Netzte, die sogenannten Dauper nach Weißfischen, meist Nasen und Barben hoben und senkten und man sprach mit Ehrfurcht von denen, die im Winter mit dem Neunaugenzopf gewaltige Huchen an Land zogen.
(mein vater richard muster *1911, über einen besuch bei seinen marburger großeltern, 1916) |
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